Noch’n Gipfel

“Wir haben zu konstatieren, dass in jedem Schülerjahrgang, den wir in das Leben verabschieden, 60.000 bis 80.000 davon ohne Abschluss aus den Schulen gehen - das heißt, unmittelbar in eine Hartz-IV-Karriere entlassen werden.“ Dies sei eine der Ursachen für den Rechtsextremismus, sagt der Vorsitzende des Vereins «Gesicht zeigen», Uwe-Karsten Heye.

Ist es tatsächlich notwendig, um diese Erkenntnis zu verbreiten, ein Treffen Verantwortlicher, einen durch Frau Merkel zur Normalität verkommenen „Gipfel“, diesmal einen „Demokratiegipfel“ einzuberufen? Kraxel, kraxel.

Ist Demokratie so verkommen, dass man sie auf einem Gipfel rekonstruieren muss? Es ist klar, was gemeint ist. Die Sprache aber ist eine Katastrophe. So ein "Gipfel" vermittelt auch nicht, worum es geht. Wann gewöhnen sich diese Leute wieder daran, konkret zu werden und nicht mit Schlagworten Nebel zu werfen? (Uwe-Karsten Heye war mal aktiver Politker. Da hat er das gelernt und dann nicht mehr hinterfragt)

Solchen „Gipfeln“ ist immanent, dass viele Worte gewechselt werden, die lediglich dazu dienen, nicht handeln zu müssen. Diesem Gipfel soll dann ein „Schulreformgipfel“ folgen. (Auch ein gängiges Verfahren, um Handeln zu vermeiden. Der Sprung von Gipfel zu Gipfel)

Ziemlich arm das.
http://www.pr-inside.com/de/heye-bringt-demokratiegipfel-gegen-rechts-r204781.htm
Talakallea Thymon - 23. Aug, 12:40

mich macht immer die aussage, schwierige soziale lage fördere rechtsextremismus, nachdenklich. ein engemessenes verhalten gegenüber meinen mitmenschen ist von jedem forderbar -- ganz egal, ob er arbeitslos oder spitzenverdiener ist. was ist ein untadeliges sozialverhalten wert, frage ich, wenn es durch brot und spiele erkauft werden mußte?

"erst kommt das fressen, dann kommt die moral", wußte schon Brecht zu dichten.

knurps - 23. Aug, 14:31

Hier geht es um junge Leute. Die haben keine Perspektive. Im Gegenteil. Die sehen nur Aussichtslosigkeit vor sich.
Ein gleichförmiges, in keiner Weise gestaltbares Leben auf unterstem Niveau. Um sich herum aber jede Menge Leute, die in Kneipen sitzen, schicke Klamotten haben, vom Urlaub erzählen und Zukunftspläne schmieden. Sie selbst hängen machtlos und ohne die Möglichkeit, etwas anderes zu denken, etwas was das Dasein irgendwie gestalten könnte. Das aber will doch jeder. Die Anderen da sind voller Plänen. Das will ich auch. Ich muss an Geld kommen. Das ist es doch.

Der Kurt, der Paul und sogar die Ivonne, die nehmen ihr Leben in die Hand. Gut, das ist nicht legal. Was die Reichen machen, ist auch nicht immer legal. Ich mach' da jetzt mit. Scheiß auf die Gesetze. Scheiß auf die Bullen, die einen sowieso zu schikanieren versuchen, wo sie können. Bevor ich hier brav bin und nichts ändern kann, versauere und mich ewig gleich langweile, pack ich es an. Ist doch ganz einfach. Man darf sich nur nicht erwischen lassen.

So in etwa, wenn auch meist nicht so bewusst, geht das. Unausweichlich. Es ist nicht der Hunger. Es ist das Fehlen einer Zukunft. Der Blick in eine Leere. Das Gefühl der Minderwertigkeit, welches auch immer wieder von denen, denen es besser geht, bestätigt wird, wie die auf einen runtergucken. Denen werd' ich's zeigen!

Na, dämmert's?
Talakallea Thymon - 23. Aug, 16:24

nein.
ersetze von mir aus "brot" durch "perspektive". was die anderen machen, war noch nie ein besonders guter anhaltspunkt dafür, was sie und man selbst machen sollte. insofern bleibe ich hier zwar nicht verständnislos (ich verstehe ja, warum und wieso. nur die folgerungen daraus finde ich, gelinde gesagt, fragwürdig). eine moral, die nur unter einer bestimmten sorte von lebensbedingungen funktioniert, taugt nichts, da bin ich stur. das ist wie ein regenschirm, der nur bei sonne schützt (nämlich gar nicht).
ich spreche nicht von extremsituationen, die extreme handlungen erforderlich machen. wenn jemand, der am verhungern ist, brot klaut, weil ihm niemand etwas abgibt, ist das in ordnung.
aber menschen mit "lebensperspektiven" abzufüttern, damit sie unschuldigen nicht die fresse vermöbeln -- tut mir leid, da komme ich nicht mit. auf das vermöbeln müssen sie verzichten, perspektive hin oder her, und zwar aus ganz anderen guten gründen, die in fast (siehe extremsituationen) jeder lebenslage gute gründe bleiben. und diese guten gründe sind, behaupte ich, auch für einen menschen ohne schulabschluß nachvollziehbar.

argee gleim - 23. Aug, 17:28

Jeder ist auch Produkt seiner Umgebung. Die National-Extremen bieten einfache Lösungen an. Auch Kameradschaft. Etwas Zusammengehörigkeitsgefühl. Das nährt sich aus einer Gruppenbildung, die deshalb so zusammengeschweißt ist, weil sie als minderwertig gilt, wogegen sie sich wehrt. Ein Feindbild ist gefunden. Es herrschen bestimmte, einfache Regeln. Der Feind ist ausgemacht. Jetzt gilt es, die Dazugehörigkeit zu beweisen. Das geschieht oft mittels Mutproben. Dazu kann auch das Vermöbeln der gehassten Andersartigen gehören. Hat man sich bewährt, empfängt einen eine Welle der Anerkennung, ein Gefühl des Dazugehörens, die Wärme einer Nähe. Der Mensch ist ein Herdentier.

Gelenkt wird das von als kriminell zu betrachtenden Ideologen, die ihr ganz eigenes Süppchen darauf kochen. Das durchblickt der Einzelne jedoch nicht. Er teilt bald den Hass.

Es ist nicht die Frage, ob das moralisch ist. Nach den Gesetzen, die innerhalb der Gruppe gelten, ist das moralisch. Ehrenvoll heißt das dann.

Moral. Moral ist keine feste Größe sondern sehr schmiegsam. Das moralische Postulat mag weniger schmiegsam sein. Doch auch das wird von wechselnden und von vielen individuellen und gesellschaftlichen Parametern bestimmt. Der Mensch befindet sich nicht in einer für alle Zeiten und Umstände fixierten Umgebung sondern in einer sich ständig wandelnden. Das bestimmt sein Verhalten. Da herrscht sowohl Dependenz als auch Interdependenz. Nur Schillers Glocke ist fest gemauert in der Erden.

Es ist natürlich so, dass in der Welt, wie wir sie als normal erleben und sehen (wollen), faschistische Übergriffe keinen Platz haben. Sie fallen ja auch unter das Strafgesetz und werden geahndet.

Der Gesetzgeber folgt Deiner Auffassung.

Das heißt aber nicht, dass es unterhalb oder seitlich der per Gesetz und allgemeiner Übereinkunft geltenden ‚Moral’ andere ebenfalls als gesellschaftlich zu betrachtenden Ordnungen herrschen, die für Randgruppen verführerisch und Sinn gebend sind.

Der Jugendliche ohne Perspektive, das ist ein verdammt hartes Los, gehört zu einer solchen Randgruppe. Oft schuldlos. Das kommt nämlich hinzu. Da kommen Minderwertigkeitsgefühl, Wut und Hass auf. Irgendwie und irgendwo sucht sich das ein Ventil. Die Frage einer gesellschaftlich gerade gültigen Moral ist da obsolet.
knurps - 23. Aug, 18:23


Talakallea Thymon - 26. Aug, 19:07

Moralische Urteile sind eben gerade nicht besonders biegsam. wir reden ja hier nicht über einen vergleich des maori-sittenkodex' mit den gegebenheiten des rechtsstaats in mitteleuropa kurz nach der jahrtausendwende, sondern bewegen uns in derselben kultur. aber so weit muß man gar nicht gehen; es dürfte überall, und zwar aus ziemlich gutem grund, so etwas wie die "goldene regel" geben, oder, wenn man es etwas intellektueller formuliert, den kategorischen imperativ. man wende jetzt bitte nicht ein, daß die jugendlichen Mügelns kaum philosphie studiert haben dürften; was Kant im kategorischen imperativ zusammenfaßt, ist eine formale begründung für eine art sittlicher werturteile, wie sie menschen (und ich wage zu behaupten: aller kulturen und aller zeiten) tatsächlich fällen. nur fünf minuten nachdenkens können jeden menschen davon überzeugen, warum es nicht gut sein kann, auf andere menschen eine art treibjagd zu veranstalten. dem, der da einwendet, er habe halt eine schwierige kindheit gehabt, müßte man eigentlich eine scheuern, wenn nicht fünf minuten nachdenken davon überzeugen würden, daß es nicht gut sein kann, das zu tun. aber ich wiederhole mich.

die untersuchung von gründen für eine tat haben nichts mit der sittlichen bewertung der tat zu tun. deswegen bringt die frage, wie rechtsradikalismus entsteht, nur empirisch etwas, niemals kann der begründungszusammenhang einer handlung diese handlung in moralischer hinsicht bewerten. wer nun hergeht und etwas von lebensbedingungen und schwerer kindheit faselt, der nimmt die täter moralisch nicht ernst, sondern behandelt sie wie marionetten, die, wenn nur die bedingungen stimmen, beliebig formbar wären. gegen diese auffassung wehre ich mich. zum glück sieht das ja auch die gerichtsbarkeit so. wäre es anders, würde man den menschen ihre verantwortung absprechen, und man könnte sich jede form von rechtssprechung, allerdings auch jede form persönlichen vorwurfs oder lobes ersparen.

der punkt, auf den es mir ankam, ist vielmehr: natürlich muß eine gesellschaft allen ihren mitgliedern eine lebensperspektive bieten, andernfalls sie gar keine gesellschaft ist. aber, und das ist das, was mir zu kurz kommt beim räsonnieren über maßnahmen zur eindämmung der fremdenfeindlichkeit: die gesellschaft muß das ohn' ansinnen irgendeiner gegenleistung oder positiven effekts. sie muß es, und hier bin Kantianer bis ins mark, sie muß es aus pflicht. und ebenso müssen die jugendlichen von Mügeln ihre fäuste in der tasche lassen. aus pflicht, nicht weil sie vorher durch eine portion lebensperspektive abgelenkt worden sind. und jetzt kommt's: sie müssen es auch dann, wenn's keine perspektive/belohnung gibt. und die gesellschaft muß sich um ihre schwächsten mitglieder kümmern, auch wenn die aus der art schlagen.

sittlich gutes handeln beruht eben gerade nicht auf dem verhältnis von leistung und gegenleistung, einforderung von rechten und gewähren von pflichten. wenn man die forderung nach sittlich gutem handeln von äußeren bedingungen abhängig macht, dann erlebt man eben die unangenehme überraschung, daß, um beim vergleich zu bleiben, der regenschirm nur bei sonne funktioniert.

niemand behauptet, daß das leicht ist. das richtige handeln ist nunmal nicht immer das, was am meisten spaß macht. oder auch nur anerkennung.

knurps - 26. Aug, 20:05

Ich bin da vollkommen der gleichen Auffassung.
Nur geht es hier nicht um eine moralische Kategorie. Es geht darum, was warum geschieht. Eine Beschreibung.

Um dann doch sowas wie eine moralische Betrachtung einzuführen, mache ich darauf aufmerksam, dass solche Gruppierungen über einen Ehrenkodex verfügen, der alle anderen moralischen Betrachtungen außer Kraft setzt. Eine Gruppe, die sich auf Grund eines Feindbildes bildet und ihre Feinde findet und davon zusammengeschweißt wird, funktioniert abseits des kategorischen Imperativs. Insofern haben wir es doch mit einem 'Maori-Sittencodex' zu tun.

Dass dieser Ehrenkodex unmoralisch ist, wird nicht bestritten. Das ändert aber nichts an der Existenz eines solchen und an dessen Wirken und Wirksamkeit.

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