Geländerrücken

Gelaenderruecken

Ich kann nichts dazu. Ich musste mir das ansehen. Ich saß auf dem Rückweg von meinem Europagucken in einem Haltestellenwartehäuschen und wartete auf den Bus. Die kommen, wie man leidend weiß, an einem Sonntag nicht so häufig.

Dieser Mensch dort hat vorher schon merkwürdige Komik vollführt. Zum Beispiel hat er den rechten Winkel gemacht. Ein Bein lag auf dem Geländer und mit dem ausgestreckten Arm hat er sich seinen dicken Zeh geschnappt und war wohl dermaßen begeistert davon, dass er diese Haltung zwischen Standbein und erigiertem Bein einen Winkel von 90° exakt haltend wenn auch mit gesenktem Kopf, was ich sehr gut verstehen konnte, über 1 Minute lang einhielt. Seine Begeisterung ging sogar so weit, dass er das Gleiche noch einmal vollführte, nur dass jetzt das Standbein zum erigierten Bein wurde und der andere Arm nach dem anderen dicken Zeh griff. Wieder verharrte er mehr als eine Minute in dieser an nichts erinnernden Haltung.

Dann macht er einen auf Storch. Dabei griff er mit einer Hand am Popo vorbei nach hinten, winkelte den Unterschenkel eines Beines an, so dass er mit dieser Hand die Fußspitze ergreifen konnte und verharrte so ohne besonderen Gesichtsausdruck, aber das Gesicht ebenfalls nach unten gerichtet, als suche er etwas im Umfeld seines Storchenbeines, eine mir ewig erscheinende Weile. Der geneigte Leser wird es ahnen. Auch dieses Storchmimikri wiederholte er die Beine jeweils austauschend.

Neben einigen nicht weniger kuriosen Verrenkungen, die aber nicht derartig statisch daherkamen, lief er immer mal wieder auf der Stelle. Dabei schaute er sich, ganz von seiner von mir so gesehenen Gewohnheit, das Gesicht gen Boden gerichtet zu halten, entfernend um. Man konnte meinen, er wolle gesehen, bewundert werden, wozu selbstverständlich kein Anlass bestand. Aber wer schaut einem Menschen schon hinter die Schädeldecke und entdeckt dort etwas von der Vorstellungswelt eines solchen Individuums?

Als er dann versuchte, das ersichtlich stabile Geländer zwar mit gesenktem Kopf aber auch mit aller Anstrengung zu verrücken, da musste ich auf den Auslöser drücken. Ich konnte noch sehen, dass er keinerlei Erfolg zu verzeichnen hatte. Das Geländer blieb dort, wo es war, als der Bus mir die Sicht nahm und ich einstieg, mir einen Sitz aussuchte, mich hinsetzte, ohne mich angeregt zu sehen, mit der Hand nach meinem dicken Zeh zu angeln. Die Sache scheint nicht ansteckend zu sein. Und wenn, dann bin ich immun dagegen.

Erst jetzt fällt mir auf, dass dieser Mensch sich exakt auf der Grenze zwischen Düsseldorf-Düsseltal und Düsseldorf-Mörsenbroich verrenkte. Ich weiß nicht, ob ihm das bewusst war, kann das aber nicht ausschließen. Ich kann somit auch nicht ausschließen, dass es sich hier um eine lokalpolitische Demonstration gehandelt hat und auch nicht, dass ich, ohne es zu ahnen, Zeuge einer künstlerischen Aktion wurde. Wenn dem so ist, dann fühle ich mich begünstigt, kann ich doch über dieses Ereignis berichten und dem sogar ein dokumentierendes Bild beifügen.

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