Montag, 30. Oktober 2006

Apfelnase

Apfelnase

Halloween

Es war tiefe Nacht. Ich konnte nicht schlafen, obwohl ich schlapp und müde war. Zu mehr, als in die Glotze zu glotzen, war ich nicht in der Lage. Ein Italo-Western. Die karge, steinbergige Landschaft füllte sich mit Scharen von erschossenen Apachen. Auch ein Skalp wurde gezeigt. Die edlen Unifomierten ballerten die verhassten Rothäute ab, dass, so musste man annehmen, dass man daran seine Freude hatte. Die in weißen Tüll gekleidete Comtessa wurde gerettet und ihrem strammen, mit goldenen Epauletten geschmückten, hochrangigen Militär zugeführt. Kuss in Großaufnahme. Ende.

Als ich junger Schüler war, war die Prügelstrafe in der Schule noch nicht abgeschafft und von ihr wurde reichlich Gebrauch gemacht. Einer der Lehrer, der dieser Erziehungsmethode nicht fröhnte, meinte, dass das Prügeln neben der Lust an Machtausübung auch sexuellen Lustgewinn zur Ursache habe.

Viele haben einen aus Plastik oder anderen Materialien gefertigten Totenkopf auf dem Vestibül oder dem Nachttischchen stehen. Verkehrsunfälle, vor allem jene, bei denen starke Verletzungen zu sehen sind und viel Blut fließt, locken Scharen von Zuschauern an. Noch mehr schauen sich jene Actionfilme an, bei denen es aus zerfetzten, noch zuckenden Körperteilen blutet wie Schwein, Schädel zerbersten, sich ausgedehnte Blutflecken gerahmt von einer Korona aus Blutspritzern an der Wand abmalen.

Rotten von Jugendlichen finden sich und streifen durch die Stadt. Sie pflegen ein Vokabular in einem sehr speziellen, für diese Gruppierungen kennzeichnenden Deutsch, bei dem Gewalt, Blut und Waffengebrauch signifikant häufig vorkommen. Nicht wenige von diesen lassen den solchermaßenen Aussagen Taten folgen, die eben dieses Vokabular verifizieren. Meist befinden sich diese Halbwüchsigen in Situationen, die Ihnen keinerlei Perspektiven aufzeigen. Ihr Verhalten lässt sich also teilweise erklären. Sie leben in einer Welt, in der Gewalt zur Selbstbehauptung unerlässlich scheint oder auch ist.

Auf der Charlottenstraße hier in Düsseldorf stehen die hässlichsten, kränklichsten und schmutzigsten Frauen, die man in der Stadt finden kann hart an der Bordsteinkante. Ich habe in dieser Gegend ein paar Jahre gewohnt und beobachtet, wer das ist, der hier zugreift. Es sind vorwiegend Besitzer von Autos der Ober- oder Luxusklasse, also Männer, die sich leicht Besseres leisten können und ich habe mich gefragt, was diese Herren veranlasst, sich Frauen einzuladen, die ich nicht mit der Zange anfassen würde. Die Antwort einer der Betroffenen war: „Die Lust an der Demütigung.“ Primitiv aber real.

Dann gibt es da die Mitmenschen, die zum Zerstören und Töten ausgebildet werden, die mit der Anwendung von Waffen auch für den Massenmord vertraut gemacht werden. Irrsinnig teures Gerät steht ihnen zur Verfügung. Da ballt sich eine Gewalt, der der Einzelne kaum gewachsen ist. Aber er verfügt darüber. Zerstören und Töten auf Befehl. Der Befehl soll den Einzelnen von der Verantwortung für sein Handeln entlasten. Der Befehlende muss sich selbst die Finger nicht schmutzig machen. Und doch klebt das Blut hartnäckig an den Fingern und windet sich zersetzend in die Gehirnwindungen. Das Reinwaschen von Schuld funktioniert nicht.

Die Folgen sind tiefgreifend und verändern den Menschen. Hinzu kommt, dass der Soldat wie die Öffentlichkeit belogen wird, wenn behauptet wird, der Einsatz von Soldaten geschehe als humanitäre Hilfe. Das könnte und sollte man mit dem Einsatz von Hilfsorganisationen angehen. Schickt man Militär in ein Gebiet, handelt es sich um Krieg. Krieg aber ist furchtbar. Krieg findet außerhalb der üblichen Gesetzgebung statt. Krieg lässt übliche ethische Vorstellungen nicht zu. Krieg demoralisiert und verroht. Der Soldat wird vom Dasein, Denken und Funktionieren der Gesellschaft entfernt und von ihr entfremdet.

Im Einsatzgebiet ist der Soldat dem Anblick und Erleben von Gewalt, Töten und Getötetwerden ausgesetzt. Dem kann er nicht entfliehen.

Jetzt trifft solch ein Soldat auf ein Feld, auf dem hie und da Totenschädel herumliegen. Er findet ein Symbol dessen, was ihn bewusst oder unbewusst beschäftigt, ein Symbol für Gewalt und vor allem Tod. Es ist kein weiter Weg, sich dieses Symbols zu bemächtigen und wiederum symbolisch seine Überlegenheit über das Symbol zu betreiben. Wenn da einer sogar seinen Schnibbel präsentiert, bestätigt sich zumindest bei Einigen ein Zusammenhang von Gewalt und Sexualität. Ganz primitiv wird ein Machtgefühl genossen, welches der täglichen Angst entgegen steht. Minderwertigkeitsgefühle werden scheinbar kompensiert. Hinzu kommt, dass eine Armee schon eine Negativauswahl darstellt. Menschen aus einem geistig-moralischen Prekariat sind hier überproportional vertreten.

Der Schädel. Dieser entstammt nicht einer Grabschändung sondern liegt in der Landschaft rum. Der unmittelbare Bezug zu einem menschlichen Leben ist nicht mehr gegeben. Der Bezug ähnelt eher dem Schnitzel in der Kühltheke eines Supermarkts zum Schwein oder dem Plastik-Totenkopf in der Wohnung zu einem Menschen. Diese Bezüge sind äußerst schwach.

Nur wer zu Hause auf seinem Sofa sitzt und keine Vorstellung von den Erschütterungen hat, denen der Soldat im Kampfgebiet ausgesetzt ist, kann pharisäerisch und moralinsauer den Finger erheben und auf den in den Krieg geschickten weisen. Da heißt es aus verantwortlichen Mündern, es handle sich um Einzelfälle. Entrüstung macht sich breit. Leeres Wortgetöse. Verrohung bei solchen Einsätzen ist der Normalfall. Sog. Gruppendynamik spielt dabei eine große Rolle. Wer Soldaten statt Hilfsorganisationen in ein Gebiet, das der Hilfe bedarf, schickt, weiß das. Der Aufschrei, eine Einforderung von Moral, ist bewusstes Heucheln.

Wer Soldaten bei Konflikten im Inneren einsetzt oder einsetzen will, weiß ebenfalls, dass er damit die allgemein bestehenden Parameter von Verhalten, Moral und Ethik außer Kraft setzt.

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